Kontrolle der Zellen auf MEAs unter dem Mikroskop im Space Station Processing Facility im Kennedy Space Center.
Kontrolle der Zellen auf Multi Electrode Arrays unter dem Mikroskop im Space Station Processing Facility im Kennedy Space Center. Bild: WARR space labs

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"Alle 90 Minuten fliegt unsere Box da oben vorbei"

Experiment der WARR space labs auf der ISS

18 Studierende der TUM waren live dabei, als die Falcon 9-Trägerrakete im März vom Kennedy Space Center abhob. Im Frachtraum eine Box. Darin ein Experiment, das die jungen Forscher:innen entwickelt hatten, um auf der International Space Station ISS das Altern von Gehirnzellen zu untersuchen.

„Im Kennedy Space Center in Florida zu stehen und einer Rakete beim Starten zusehen, ist schon etwas Besonders. Aber beim Start dabei zu sein und zu wissen, dass sich an Bord der Rakete ein Gegenstand befindet, den man selbst gebaut hat, das ist einfach supercool“, sagt Fanny Rößler, Teamleiterin von WARR space labs.

Die Aufregung vor dem Start, den Countdown, das ohrenbetäubende Dröhnen der Antriebe, den Anblick der Rakete, die in den Himmel schießt und von Sekunde zu Sekunde kleiner wird: „Das sind Momente, die keiner von uns je vergessen wird“, davon ist Fanny Rößler überzeugt.

Sieg beim Wettbewerb „Überflieger 2“

Fanny Rößler, die gerade mit dem Masterstudiengang Bioinformatik begonnen hatte, war vom ersten Tag des Projekts an mit dabei: „Alles, was mit Raumfahrt zu tun hat, fand ich schon immer faszinierend. Und als ich gehört habe, dass es in dem Projekt um neurowissenschaftliche Fragestellungen gehen soll, war ich gleich Feuer und Flamme – ich will unbedingt wissen, wie das Gehirn funktioniert.“

Monatelang erarbeitete sie zusammen mit Elektrotechniker:innen, Maschinenbauer:innen, Physiker:innen, Informatiker:innen, und Life Science Student:innen das Konzept für ein Experiment im Weltraum. Das Ziel: Die Teilnahme am Wettbewerb „Überflieger 2“, den die Deutsche Raumfahrt Agentur im DLR und die Luxembourg Space Agency für Studierende ausgeschrieben hatte. Die Gewinner-Teams sollten die Möglichkeit bekommen, ihre Experimente an Bord der Internationalen Raumstation ISS durchzuführen.

Neuronen in der Schwerelosigkeit

„Für die Untersuchung biologischer Prozesse ist die ISS eine hochinteressante Testumgebung, weil dort die Gravitationskraft der Erde kaum noch zu spüren ist. Man weiß, dass die Schwerelosigkeit molekulare Prozesse und damit auch den Alterungsprozess von Zellen beeinflusst. Unsere Idee war es, zu erforschen, ob auch Gehirnzellen schneller altern und wie das Protein Beta-Amyloid, das bei Alzheimererkrankungen eine wichtige Rolle spielt, diesen Prozess beeinflusst“, erklärt Rößler.

Mit dem Konzept für das Forschungsprojekt ADDONISS – kurz für Ageing and Degenerative Diseases of Neurons on the ISS – bewarb sich das Team beim Überflieger 2-Wettbewerb und gewann einen der begehrten Plätze auf der ISS.

„Tatsächlich ging damit die Arbeit erst richtig los, denn nun mussten wir unsere Idee in die Praxis umsetzen und zwar so, dass das Experiment in eine 20 mal 10 mal 10 cm kleine Metallkiste passt, einen Raketenstart aushält und an Bord der ISS ohne menschliches Zutun abläuft. Das war eine enorme Herausforderung“, erinnert sich Fanny Rößler.

Regelwerk von NASA und ESA

Es galt Multielektrodenarrays für die Erforschung der Gehirnzellen zu entwickeln, mit deren Hilfe sich die winzigen Spannungen zwischen den Zellfortsätzen, den Dendriten, messen lassen. Dafür arbeitete das Team mit Forschenden des Munich Institute of Biomedical Engineering (MIBE)  der TUM zusammen, die die Mikroelektrodenarrays speziell für diesen Zweck anpassten und herstellten. Benötigt wurden außerdem miniaturisierte Komponenten: Sensorik, Pumpen für die Nährstofflösung und ein Heizsystem, das für eine gleichmäßige Temperatur von 37 Grad sorgt.

Bei allen Entwicklungsschritten mussten außerdem die Regeln der NASA und der ESA berücksichtigt werden, die genau vorgeben, welche Materialien bei einer Raumfahrtmission verwendet werden dürfen und welche Tests vor dem Start durchzuführen sind, berichtet Rößler: „Das ist alles deutlich aufwändiger als man denkt.“

Speziell gefertigte Mikroelektroden am MIBE

Inola Kopic, Doktorandin in der Forschungsgruppe für Neuroelektronik am Munich Institute of Biomedical Engineering (MIBE) berichtet: „Wir haben das Layout der Mikroelektrodenarrays speziell für dieses Projekt an die Randbedingungen der Box und des Datenerhebungssystems angepasst und die Chips dafür in den Laboren des MIBE hergestellt. Neben der elektrischen Messung der zellulären Signale wird auch die Aktivität der Zellen mit Hilfe eines Mikroskops untersucht. Dafür haben wir ein besonders dünnes, stabiles und durchsichtiges Material für die Arrays verwendet. Außerdem mussten die Materialien, die direkt mit den Zellen in Kontakt stehen, biokompatibel, also für die Zellen verträglich sein“.

Biologische Experimente müssen in der Raumfahrt oft chemisch fixiert oder eingefroren werden, um sie später auf der Erde analysieren zu können. Mit den Mikroelektrodenarrays und dem speziell entwickelten Read-out-System können die Zellen jedoch während des gesamten Experiments kontinuierlich überwacht werden. Dadurch sind Messungen direkt vor Ort ohne menschliche Einwirkung möglich.

Testen, testen und nochmal testen

Mehr als ein Jahr lang tüftelten zwei Subteams der WARR Gruppe - ein auf Technik spezialisiertes in Garching und ein auf Biologie fokussiertes in Straubing - an den Details. „Eine große Herausforderung war das Aufspüren störanfälliger Punkte. Wir haben ständig getestet. Trotzdem haben wir noch kurz vor dem Start einen Kurzschluss entdeckt und mussten Komponenten austauschen - da haben dann alle Nachtschichten geschoben“, erinnert sich Teamleiterin Fanny Rößler.

Erfahrungen fürs Leben

Für sie persönlich sei die letzte Phase der Entwicklung die schwierigste gewesen: „Meine Aufgabe war es zu priorisieren, also zu entscheiden, welche Komponenten sind systemrelevant und müssen vor dem Start nochmals geprüft werden. Solche Entscheidungen sind mit einer großen Verantwortung verbunden. Mit sowas umzugehen, lernt man nicht im Studium. Aber es ist eine gute Vorbereitung auf das Berufsleben.“

Seit das ADDONISS-Experiment mit der Falcon 9-Rakete gestartet ist, hat das space labs-Team keine Möglichkeit mehr nachzujustieren. Das Experiment läuft einen Monat lang vollautomatisch ab.

Bis die Box wieder in München ankommt, bleibt Rößler und ihrem Team nur ein hoffungsvoller Blick gen Himmel, wenn die ISS gerade über München zu sehen ist: „Alle 90 Minuten fliegt unser Experiment da oben vorbei.“
 

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